FRANKFURT โ Web 3.0 ist die Weiterentwicklung des Internets hin zu einem Internet of Values, bei dem die Blockchain unterstรผtzend wirkt, wie Claus Hilpold von der L1 Digital AG beim 193. Hedgework im April 2022 anhand verschiedener Beispiele ausfรผhrte. โHier werden sich noch viele spannende Dinge entwickeln, von denen wir noch gar keine Idee habenโ, sagte er abschlieรend.
Hedgework: Herr Hilpold, was fasziniert Sie an Web 3.0 und dem Bereich der Digital Assets und worin sehen Sie hier Potenzial?
Claus Hilpold: Mit Web 3.0 entwickelt sich das derzeitige Internet, so wie wir es kennen, weiter โ von einem Internet der Informationen zu einem Internet der Werte (Internet of Values). Die Blockchain als Mosaikteilchen in dieser Entwicklung ermรถglicht es, Daten und Zustรคnde verteilt รผber das Internet in hunderten oder gar tausenden Datenbanken (Nodes) parallel zu speichern. Man kรถnnte sich nun fragen, wie effizient es ist, die gleichen Daten redundant in so vielen Datenbanken gleichzeitig zu speichern. Aber die Logik, die damit einhergeht, ist der Umstand, dass man auf diese Weise das Element Vertrauen digital abbildet. Wenn nun ein bรถsartiger Teilnehmer versucht, in einer Datenbank Daten zu seinen Gunsten zu รคndern, fรคllt dies all den anderen Teilnehmern auf, da die Datenbanken nicht in sync sind. Es braucht jetzt noch eines gemeinsamen Vorgehens, wie Daten und damit Zustรคnde in der Datenbank geรคndert werden kรถnnen und gleichzeitig von allen Teilnehmern am Netzwerk Konsensus darรผber herrscht, dass dieser neue Zustand die richtige Abbildung der Realitรคt ist. Dieses Mosaikteilchen nennt sich Konsensusmechanismus oder Konsensusprotokoll. Bitcoin arbeitet mit Proof-of-Work โ was sehr energieintensiv ist โ und Ethereum befindet sich gerade im Merge von Proof-of-Work zu Proof-of-Stake. Die Kombination von Blockchain und Konsensusmechanismus wiederum erlaubt es, die Rolle des zentralen Mittelsmannes obsolet zu machen. Kรผnftig heiรt es โCode is lawโ.
Hedgework: Was bedeutet das?
Hilpold: Dies bildet nun die Grundlage, um nicht nur den Anwendungsfall einer digitalen Wรคhrung auf diesen Eckpfeilern dezentral und ohne Mittelsmann abzubilden, wie es im Jahr 2008 Satoshi Nakamoto mit Bitcoin getan hat, sondern im Grunde bildet es die Basis, jedwede Geschรคftsmodelle kรผnftig nicht mehr als zentrales Geschรคftsmodell รผber die Etablierung einer Firma, sondern dezentral als Projekt auf der Blockchain abzubilden. Dies gilt in erster Linie fรผr alle Geschรคftsmodelle, welche ohnehin digitaler Natur sind, aber geht auch weit darรผber hinaus. Das Beispiel โHelium โ The Peopleโs Networkโ zeigt dies sehr illustrativ anhand der Dienstleistung eines Telekommunikationsanbieters auf. Die immense Power und das disruptive Potenzial, das in einer solchen Herangehensweise schlummert, ist dem Umstand geschuldet, dass es kรผnftig keiner komplexen bรผrokratischen Entscheidungen mehr bedarf, um eingefahrene Prozesse zu verbessern oder neue ins Leben zu rufen. Wenn man im bestehenden Projekt โ nehmen wir an Helium oder Ethereum โ etwas verbessern mรถchte, entwickelt man einen Vorschlag und bringt diesen als sogenanntes โImprovement Proposalโ zur Diskussion und Abstimmung in der Community. Wenn man eine gรคnzlich neue Idee hat, startet man diese dezentral auf der Blockchain. Die Verรคnderungsgeschwindigkeit wird dadurch kรผnftig nochmals exponentiell zunehmen.
Hedgework: Und wie kann man nun in derartige Entwicklungen investieren und daran partizipieren?
Hilpold: Grundsรคtzlich ist zu sagen, dass wir uns hier im Venture-Capital-Bereich bewegen, mit all seinen Chancen aber auch Risiken und der entsprechenden Komplexitรคt. Anders als im klassischen Venture-Bereich ist es aber Privatinvestoren hier mรถglich, selbst sehr frรผh durch den Erwerb der entsprechenden Tokens auch in kleinen Betrรคgen entsprechendes Exposure zum jeweiligen Projekt aufzubauen. Dies erlaubt es dem technisch versierten und interessierten Investor am Ball zu bleiben. Fairerweise muss man aber auch eingestehen, dass es mittlerweile mehr als 30.000 derartige Projekte gibt und neben einem gewissen technischen und finanzwirtschaftlichen Verstรคndnis auch eine ordentliche Portion Zeit notwendig ist, um die Opportunitรคten zu analysieren und mit Hilfe der jeweiligen Kommunikationskanรคle wie Discord, Medium, Telegram und Twitter auf dem Laufenden zu bleiben. Hier ist es ratsam, aktive Investment Manager einzubinden. Das Fondsspektrum reicht von aktiven Tradingfonds รผber systematische Trendfolger, Arbitrageuren bis hin zu Venture-Capital-Fonds.
Hedgework: Kommen wir zu den drei Projekten, welche Sie beispielhaft anlรคsslich des 193. Hedgeworks im Cafรฉ Hauptwache vorgestellt haben. Kรถnnen Sie hierzu ein paar Sรคtze sagen?
Hilpold: Gerne โ ich habe diese drei Projekte bewusst illustrativ ausgewรคhlt, um jeweils einen Vertreter eines gรคnzlich unterschiedlichen Bereichs โ man kรถnnte Sektor sagen โ auszuwรคhlen und damit aufzuzeigen, dass Crypto-Land viel mehr ist als nur Bitcoin oder der Anwendungsfall โZahlungsverkehrโ. Nehmen wir das Projekt โHelium โ The Peopleโs Networkโ. Zentrale Telekommunikationsanbieter wie die deutsche Telekom betreiben notorisch kapitalintensive Geschรคftsmodelle. Nehmen Sie das Beispiel 5G, welches derzeit aktuell ist und stellvertretend herangezogen werden kann. Bevor die deutsche Telekom in der Breite zahlende Kunden und damit Einnahmen aus 5G erwirtschaften kann, muss Sie die entsprechenden Sendestationen flรคchendeckend aufbauen. Das kostet Geld und Zeit fรผr Entwicklung, Montage und Wartung. Darรผber hinaus die vielen Einsprรผche, welche den Faktor Zeit und Kosten weiter strapazieren. Des Weiteren bedarf es eines Back-Offices, eines Vertriebs, Marketingausgaben, Rechnungsstellung, etc. Was, wenn man nun dieses Geschรคftsmodell auf den Kopf stellen kรถnnte?
Hedgework: Nรคmlich wie?
Hilpold: Was, wenn man die Bevรถlkerung zu Beteiligten machen kรถnnte, eine Community bilden kรถnnte? Was, wenn man sehr viele Leute dazu bewegen kรถnnte, dass diese die entsprechenden Sendeeinheiten โ genannt Helium Hotspot โ kaufen und damit in Vorkasse gehen? Sich diese bei sich zu Hause oder im Bรผro aufstellen und auf diese Weise ein globales Netzwerk aufbauen? Was, wenn man einen Weg findet, einen Abrechnungsmechanismus zu implementieren, welcher komplett digitalisiert ist und daher nicht mal mehr ein Back-Office erfordert. Dann mรผsste man nur noch einen Weg finden, die Teilnehmer in diesem Netzwerk monetรคr zu intensivieren. Hier kommt der Helium Token als Kryptowรคhrung ins Spiel. Fรผr die Bereitstellung der Netzwerkinfrastruktur und dafรผr, dass man ein Risiko eingeht mit der Anschaffung der Hardware wird man in einem bestimmten Verhรคltnis mit dem Helium Token entlohnt. Im Gegenzug muss ein Nutzer des Netzwerks Helium Token erwerben, um die Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Der Token stellt somit eine Art Gebรผhr dar, fรผr die Nutzung der Dienstleistung und er wird auf Protokollebene belastet.
Hedgework: Mit allgemeiner Bezahlfunktion?
Hilpold: Nein, das nicht โ an dieser Stelle mรถchte ich gleich ein weit verbreitetes Missverstรคndnis klarstellen. Der Helium Token ist nicht dazu gedacht, beim Bรคcker nebenan Brรถtchen einzukaufen, das heiรt, er stellt keine Wรคhrung im eigentlichen Sinne dar โ er gehรถrt in die Kategorie Nutzungstoken โ wie รผbrigens mehr als 90% aller Kryptowรคhrungen.
Hedgework: Wie steht es mit dem 2. Beispiel?
Hilpold: Das 2. Beispiel ist das Thema NFT โ also Non-fungible Token โ definitiv ein groรes Hype-Thema in 2021 und auch noch aktuell. Ein Non-fungible Token ist ein kryptografisch eindeutiges, unteilbares, unersetzbares und รผberprรผfbares Token, das einen bestimmten Gegenstand, sei er digital oder physisch, in einer Blockchain reprรคsentiert1. Digitale Kunst ist ein mรถglicher Anwendungsfall. Bei dem von mir gezeigten spielerischen Anwendungsfall โNBA-Topshotsโ handelt es sich um ein Projekt, dass รคhnlich den aus unserer Kindheit bekannten Fuรball-Stickern von Panini an die Sammelleidenschaft vieler anknรผpft. Fรผr die einen ist es eine weitere Mรถglichkeit, im Sinne des Merchandisings mit seinen Fans im erweiterten Kontakt zu stehen, fรผr andere mag es die pure Aussicht auf den schnellen Gewinn sein, welche die Basis des Handels bildet. Die groรen Umsatzzahlen im abgelaufenen Kalenderjahr zeigen โ es gibt eine Nachfrage hierfรผr.
Hedgework: Ok, und drittens?
Hilpold: Das dritte Thema gehรถrt der Kategorie Decentralized Finance (DeFi) an. AAVE stellt in diesem Zusammenhang eine dezentrale Bank dar, bei welcher die klassische Bankdienstleistung der Geldvermittlung im Sinne von verzinster Anlage auf der einen Seite und Kreditaufnahme gegen Zins auf der anderen Seite ohne zentralen Mittelsmann und damit ohne Gegenparteirisiko rein dezentral รผber Smart Contracts abgebildet wird. Das Gegenparteirisiko wird ersetzt durch ein Smart-Contract-Risiko.
Hedgework: Danke dafรผr โ und haben Sie vielleicht noch einen Ausblick, welche Entwicklungen und Projekte sich bereits am Horizont abzeichnen?
Hilpold: Die Entwicklung geht weiter und wie anfangs aufgefรผhrt, ist dies im Bereich Crypto besonders dynamisch zu erwarten. Zwei weitere Bereiche sehe ich aktuell am Horizont als mรถgliche Anwendungsfelder mit viel Potenzial. Zum einen sind das DAOs โ Decentralized Autonomous Organizations. Das heiร, Governance-Strukturen, welche ihre Mitbestimmungsstruktur ebenfalls komplett auf die Blockchain รผbertragen und damit die Frage, wer was zu sagen hat, vordefinierten Regeln unterwirft. Mir ist beispielsweise ein in Singapore ansรคssiger Blockchain-Venture-Fonds bekannt, welcher jรผngst seinen General Partner in eine DAO รผberfรผhrt hat. Das heiรt, die Management Fees flieรen kรผnftig der DAO zu und die anschlieรende Verteilung der Fees erfolgt transparent und regelbasiert. Wenn jemand beispielsweise ein interessantes Projekt im Cryptobereich sieht und dieses dem Portfoliomanagement-Team vorstellt und es zu einem Investment kommt, wird derjenige fรผr das Auffinden durch entsprechende GP Token intensiviert. Das gleiche gilt fรผr viele weitere Teilfunktionen, welche einen General Partner als Ganzes definieren.
Hedgework: Was folgt da noch?
Hilpold: Einen weiteren spannenden Bereich mit viel Potenzial sehe ich kรผnftig im Bereich Social Communities und Social Media in dezentralisierter Art und Weise. Man denke an ein dezentralisiertes Facebook, bei welchem nicht Mark Zuckerberg darรผber bestimmt, an wen er meine Daten verkauft, sondern an eine dezentrale Version hiervon, bei welcher jeder einzelne Nutzer bestimmen kann, was mit seinen Daten geschieht. Own your own data! Nehmen Sie die Community der ganzen Hobby- und Profisportler. Wenn ich heute laufen gehe, tracke ich meinen Lauf mit einer Sportuhr. Diese Daten sind aber viel mehr als nur die Messung, wie schnell und wie weit ich unterwegs war. Es werden auch Gesundheitsdaten wie Puls, Temperatur, Herzfrequenzvariabilitรคt, etc. gemessen. In einem nรคchsten Schritt ist es mรถglich, die Uhr mittels einer App mit einem Service, genannt Strava, zu verbinden. Hier kommuniziert man mit Gleichgesinnten in einer Art Facebook fรผr Sportbegeisterte. Was, wenn diese Daten nun auch dezentral via Blockchain erfasst werden und auf diese Weise eine Community zwecks dezentralem Austausch gebildet wรผrde? Was, wenn man mit diesen Daten auch gleich noch einen Datenmarktplatz aufbaut, bei welchem jedes Community-Mitglied entscheiden kann, wem er zu welchem Preis seine Daten zur Verfรผgung stellt? Zum Bespiel an Research-Institute, welche wissenschaftliche Untersuchungen auf einer Vielzahl von Datensรคtzen und Zeitreihen anstellen mรถchten, oder Krankenversicherungen, welche entsprechende Rabattmodelle entwickeln mรถchten. Und wieder gilt: โOwn your own data!โ
Hedgework: Ihr Fazit?
Hilpold: Hier werden sich noch viele spannende Dinge entwickeln, von denen die meisten โ Stand heute โ noch nicht einmal in den Kรถpfen der Menschen gedacht sind. Dieses Potenzial und diese Dynamik begeistern mich.
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Non-Fungible_Token [02. April 2022]
Claus Hilpold, CFA, CAIA, ist Senior Advisor bei der L1 Digital AG. Im Jahr 2008 gruฬndete er die POLARIS Investment Advisory AG in Zuฬrich, ein spezialisiertes Vertriebsunternehmen fuฬr alternative Anlageformen an institutionelle Investoren in ganz Europa. Zuvor war er zustรคndig fรผr das Business Development in Deutschland und รsterreich bei Harcourt Investment Consulting AG und davor Teil des Derivate- und Strukturierungsteams der Commerzbank AG in Frankfurt. Bei L1D unterstรผtzt er als Senior Advisor aktiv mit Rat und Tat den Bereich Vertrieb und Marketing.
L1 Digital AG Mit Sitz in der Schweiz konzentriert sich die L1 Digital AG als FINMA-regulierter Investment-Manager auf die Erschlieรung von Investitionsmรถglichkeiten in der Blockchain-Industrie. Hierbei analysiert L1D Blockchainprojekte und Fonds mit dem Ziel, die weltweit besten fรผr L1Ds Investoren investierbar zu machen. L1D wurde im Jahr 2018 gemeinsam von Ray Hindi, Dr. Philipp Cottier, Armand van Houten und Claus Hilpold in Zรผrich gegrรผndet.